Koerpervernunft und Empfinden

 
Man koennte den Eindruck haben, als versuche ich auf diesen Seiten ein neues rationales Dogma zu installieren. Doch Koerpervernunft unterscheidet sich deutlich von der Vernunft, wie sie in unserer Kultur und in der klassischen Philosophie üblicherweise aufgefasst wird.
 
Augustin Thagaste ist fuer mich der Erfinder der abendlaendischen Rationalitaet. Er setzte folgende Rechnung (ratio) in die Welt: Wer weisz, wie er handeln soll – für dieses ‚Wissen‘ sorgten die theologischen und philosophischen Kirchenlehrer – macht sich schuldig, wenn er anders handelt. Diese Schlussfolgerung – der Kern von rationaler Moral – diente der Kirche, um von Geburt an bis zum Tode Schuld und Suende mit dem Leben jedes einzelnen Christen zu verbinden. Es stand in kirchlicher Macht, dem Frommen durch Beichten und Suehnen seine Schuld und Suende immer wieder zu erlassen und erneut Schuld und Suende anzuhaeufen. Die letzte Abrechnung sollte vor dem Stuhl Gottes erfolgen. Diese irrationale Doppelbind-Situation veranlasste Luther m. E. neben anderem nach Gnade zu schreien und fuehrte zur Haeresie. Andere, die weniger empfindsam waren, verlegten sich aufs Verbergen ihres Handelns, das ganz anderen „Schlussfolgerungen“ folgte und in einen allseits zu beobachtenden Aktionismus – konforme Geschaeftigkeit und Politik – in der Vergangenheit und Gegenwart muendete.
 
Philosophen haben der Rationalitaet eine aehnliche, trennend wirksame Rolle zugewiesen. Erst die Behauptung, der Mensch sei ein ‚vernunftbegabtes Wesen‘ ergibt auch die Behauptung, dass Menschen unvernuenftig seien. ‚Unvernuenftig‘ sind in der Regel die anderen. Unter den klassischen Philosophen gelten diejenigen als ‚unvernuenftig‘, als ‚Gesetzesbrecher‘, als diejenigen die Ordnung und Moral gefaehrden, die fuer die Kirchenkinder Suender und Schuldige sind. Aus koerperphilosophischer Sicht befinden sich sowohl die klassischen Philosophen als auch die Kirchendogmatiker in einem laecherlichen bzw. gefaehrlichen Irrtum gefangen.
Laecherlich, weil u. a. die neurowissenschaftlichen Kenntnisse laengst anderes nahe legen, als die traditionelle Auffassung von der Dominanz der Vernunft weiterhin glauben lassen moechte. Gefaehrlich, weil weltweit operierende fundamentalistische Gruppen jeden Irrtum ihrer Religionen als Legitimation fuer ihre behauptetes frommes und akzeptables Handelns verwenden koennen.  
      
Neben den bekannten Philosophen des 18. Jahrhunderts haben auszerhalb der Erinnerungen weit verbreiteter Philosophiegeschichten Philosophen und andere Autoren der ‚Gelehrtenrepublik‘ darauf hingewiesen, dass der Mensch immer nur so handeln koenne, wie es seinem augenblicklichen Kenntnisstand und seinem momentanen Koennen entspricht. Vernunftfreunde – wie Kant – haben dieser koerpervernuenftigen Sichtweise stets widersprochen. Wie vernuenftig ist das denn?    

Koerpervernunft geht von Empfinden aus. D. h. alles, was mich sinnlich und intrakorporal beeindruckt und woraus meine zentral-neuronale Aktivitaet mein Handeln steuert und mein Denken prinzipiell mit Vorstellungen und Erinnerungen versorgt, betrachte ich als koerpervernuenftig, bzw. als leitend fuer mein Handeln. Das weitaus meiste bleibt mir unzugaenglich. Mein Handeln regt mein Nachdenken ueber die bei mir vermuteten Motive an. Das, was ich empfinde, kommt spontan zur Sprache und muendet in Texte. Doch ohne Empfinden haette ich nichts zu sagen. Ich denke, hier treffen sich Philosophen, Wissenschaftler, Dichter, Schriftsteller mit allen Menschen. Es kommt vermutlich darauf an, dass das, was wir uns gegenseitig sagen, dem gemeinsamen Handeln dienen kann. Das bezeichne ich  als koerpervernuenftig.         

ICH (in-corporated human being) = KOERPERVERNUNFT ???

Mein letztes Denkangebot auf diesem Blog ist ueber ein Jahr alt. Es passiert mir immer wieder, dass mir zu den Aspekten, die ich auf einer meiner Seiten thematisieren moechte, lange Zeit keine Idee kommt. Das haengt auch mit der Koerpervernunft zusammen, die mich erst in Gang setzt, wenn etwas Entsprechendes auftaucht.

Eigentlich bin ich heute nicht mehr mit meiner Entscheidung einverstanden, einen Blog zu eroeffnen, der sich mit KOERPERVERNUNFT beschaeftigt. Nicht nur weil der Terminus viele traditionellen Sollbruchstellen einschlieszt, sondern vor allem auch weil ich mir unter KOERPERVERNUNFT nur etwas recht Bruchstueckhaftes vorstellen kann. Sie ist eine fantasierte Idee ohne ausschlieszlich fiktional zu sein, denn es gibt ja Sensorierbares, das ich dieser Idee zuordnen kann. Sie bezeichnet wohl auch organische Funktionen meines Koerpers, die ich nicht merken kann. Sie scheinen sich irgendwie mit Merkbarem zu verbinden und das zu wirken, was ich als Impuls empfinde. Das was sich fuer mein ‚handeln‘ aus diesen Funktionen ergibt, tue ich und die Folgen habe auch wieder zu tragen. ‚handeln‘ und ‚Folgen tragen‘ wiederum kann ich sensorieren und erinnern.

Fuer die Funktion KOERPERVERNUNFT sammle ich Denkstoff, naemlich das, was ich sehe und empfinde. Dies gilt fuer jede Entscheidung. Ich moechte mein ‚entscheiden‘ eigenstaendig treffen. D. h. ich moechte fremde Ideen nicht uebernehmen. Wenn mir jemand sagt, mach es doch so wie ich, dann klappt das nicht. Ich kann nicht einfach nachmachen, was andere tun. Ich kann hoechstens hinsehen, was jemand tut und mit ihm darueber sprechen und dann ueberlegen, ob das, was er in seiner bestimmten Situation tut, fuer mich eine Moeglichkeit zu handeln in meiner anderen Situation ist. Die Ratschlaege, die andere mir geben, kann ich also nicht 1:1 uebernehmen. Das was jemand tut, ist fuer mich eine Anregung bzw. Pertubation, aus der ich wieder etwas anderes mache.

Fuer die meisten Menschen sind derartige kleinste Unterscheidungen unerheblich, bzw. sie werden nicht bemerkt. Mir aber gibt es zu denken, wenn mich ein freundlicher Mensch auffordert, etwas so zu tun, wie er es tut. Auch ich ging einmal davon aus, dass es so etwas wie nachmachen gibt. Doch inzwischen steht für mich fest:  ich kann es nicht. Als ich es von meinen Schuelern verlangte, scheiterte ich. Kopieren kann ich schon, aber nicht nachmachen. Wieder so ein Unterschied: Ich kann kopieren, wie jemand geht, aber ich kann nicht nachmachen, wie er geht (nicht machen zu gehen wie er). Kopien sind eben nie das Original und wenn jemand sagt, mach es doch so wie ich, geht er im Unterschied zu mir davon aus, das das Gleiche, was ihm gelungen ist, auch mir gelingen muesste. Doch ich kann nur geduldig zulassen, was ICH tut.

Ich bastle mir dazu meine eigenen Konzeptionen und folge dem Prinzip: Die Idee KOERPERVERNUNFT ist ein philosophisches Angebot zur authentischen Neukonzeption des Eigenen, die ohne Uebernahme von Fremdem auskommt. Dies macht mir ‚entscheiden‘ angenehm.

Die von mir verwendete Definition von ICH stammt von Rolf Reinhold.

Die Frage, was Koerpervernunft sei, …

… kann ich nicht beantworten. Ich kann das, was ich damit bezeichne, nicht sensorieren. Mit ‚Koerpervernunft‘ kennzeichne ich eine Annahme, die ich im Hinblick auf das schlussfolgere, was ich empfinde. Sie ist genauso wenig nachweisbar, wie z. B. die Meridiane, auf die Akupunkteure einwirken, aber auch wie das, was in der Medizin frueherer Jahrhunderte als ’sympathische Symptome‘ zwischen gesunden und kranken Organen verstanden wurde. Empfindungen sind fuer mich stets koerperlicher bzw. physiologischer Natur. Rolf Reinhold spricht treffender aber auch nicht leichter nachvollziehbar von „Organlagen“. Beides sind Behauptungen. Nebenbei bemerkt, hat alles, was ich auf meinen Seiten hier bei wordpress aeuszere, den Charakter von ‚behaupten‘, ‚vermuten‘, ‚annehmen‘. Dies gilt auch dann, wenn ich dies nicht anmerke.

Ich nehme fuer mich die ’skeptische Klugheit‘ des Protagoras in Anspruch: Die Dinge sind fuer mich so, wie sie mir erscheinen und fuer jeden anderen so, wie sie ihm erscheinen. Dies so zu sehen, ergibt sich daraus, dass jeder individuell sensoriert. Daher ist diese Sicht klug und nuetzlich fuers ‚reden‘ und ‚handeln‘ miteinander. Menschliches Verhalten wird von Fachleuten und Laien oft noch in ‚objektivierende Kategorien‘ gefasst: ‚Das ist eigentlich nicht aussagekraeftig,‘ merken nachdenkliche Nervenaerzte dazu an, ‚weil Menschen individuell unterschiedlich wahrnehmen und empfinden.‘ Auch neurobiologische Forscher halten individuelles ’sensorieren‘ fuer die konstituierende Grundlage jeder menschlichen Sicht und jedes ‚handeln‘. Solche Auffassungen, die der meinen entsprechen, betrachte ich nicht als „Beweise“. Sie sind fuer mich „Hinweise“ auf Menschen, die aehnlich wie ich denken und mit denen ich meine Sichten leicht teilen kann. Es wuerde mich noch mehr freuen, wenn diese mir Rueckmeldungen geben wuerden. Aus ihren Rueckmeldungen koennte ich viel lernen. Letzteres gilt uebrigens auch fuer jeden, der mir nicht zustimmt.    

Koerpervernunft und Moral


Ueber die Faehigkeit, das Gute vom Boesen zu unterscheiden“ …

…war das Thema der Papstrede vor dem deutschen Bundestag im September 2011.

Diese Formulierung von Moral bzw. Ethik veranlasste mich genauer hinzusehen, was Ratzinger darunter wie abhandelte. Auch ich gehe davon aus, dass Menschen in der Lage sein duerften zu unterscheiden, was ihnen nuetzt und sie zu jeweils besserem ‚handeln‘ veranlasst, bzw. was ihnen schadet und ihr ‚handeln‘ beeintraechtigt. ‚boese‘ und ‚gut‘ sind fuer mich Termini eines urteilenden Denkens, das sich an ganz bestimmten ethischen und moralischen Kriterien orientiert, die sich aus einer ganz bestimmten Weltanschauung ergeben. In der paepstlichen Weltanschauung wird menschliches Handeln nach ‚gut‘ und ‚boese‘ bewertet. Es gibt daher ‚gute‘ und ‚boese‘ Menschen. Die ‚guten‘ Menschen kommen in den Himmel, die ‚boesen‘ in die Hoelle. ‚gut‘ entspricht ‚den Willen Gottes tun‘ – ‚boese‘ dem Gegenteil, ‚den Willen des Widersachers, des Satans‘ tun. Ich teile nicht die paepstliche Weltanschauung. Ich kenne den Willen Gottes nicht. Ich gehe veranlasst durch meine und Beobachtungen anderer davon aus, dass Menschen stets so handeln, wie sie im Moment zu handeln in der Lage sind. Und ich gehe davon aus, dass sie ihr ‚handeln‘ als fuer sie nuetzlich betrachten. Je nach dem, welche Weltanschauung sie haben, werden sie ihr ‚handeln‘ und das anderer entsprechend bewerten.

Ich fand in der Papstrede zum groeszten Teil – wenig ueberraschend – alte Theorien: „Die Politik muss Muehen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung fuer Frieden schaffen.“ Andererseits Aeuszerungen ueber eine „Oekologie der menschlichen Natur“, die es mir ermoeglichten, koerpervernuenftige Ueberlegungen damit zu assoziieren und so innerhalb der katholischen Weltanschauung fuer Menschen Moeglichkeiten zu entdecken, menschliches ‚handeln‘ etwas anders zu sehen als bisher. Es koennte dem  gesellschaftsweiten Gespraech nützlich sein.   

Dass die Politik „Muehe um Gerechtigkeit“ sein muesse, um „so die Grundvoraussetzung fuer Frieden“ zu schaffen, verband Herr Ratzinger mit einem Bibelzitat anlaesslich der Inthronisation des Koenig Salomon, von dem ihm die Bitte Salomons um „ein hoerendes Herz“ auch sein Anliegen zu sein schien, das er den Mitgliedern des Deutschen Bundestages vortrug.

Derselbe Koenig soll gesagt haben: „Ich … sah die, die Unrecht leiden unter der Sonne; und siehe, da waren Traenen derer, so Unrecht litten und hatten keinen Troester; …“ (Prediger Salomon 4,1.) Das individuelle Schicksal ist der Willkuer der Maechtigen ausgesetzt. Auch die bundesdeutsche Demokratie zeigt m. E diesen Sachverhalt. Arbeitslosengeld und Steuergrenze fuer Reiche markieren diesen. Menschen, die arbeitslos sind, werden mit einer Unterstuetzung versorgt, die ein Lebensminimum ermoeglicht, das kaum dem gesellschaftlichen Standard entspricht und auch nicht den Rahmen fuer Eigeninitiative schafft. Fuer Reiche gibt es eine Steuergrenze, die es ermoeglicht, alles, was darueber hinaus verdient wird, steuerfrei eigenstaendig zu verbrauchen. Es sieht so aus, dass die, die viel verdienen, die Lieblingskinder der Nation sein duerften, die man belohnen moechte. Die anderen werden fuer ihr unterstelltes Versagen abgestraft. Sie unterliegen der Kontrolle. Sie muessen sich bei jedem ihrer Schritte des Einverstaendnisses der Institutionen versichern. Ihnen sind wirtschaftlich und sozial die Haende gebunden, ihre eigene Situation kreativ zu veraendern.

Meinte Ratzinger das mit „Muehen um Gerechtigkeit“? Ich denke da wie meine Religionslehrer: Dies duerfte ein ‚pharisaeischer‘ Ethos sein, die Moral und die Gesetze, die daraus erwachsen duerften es gleichfalls sein. „Gerechtigkeit“ – wie Ratzinger sie hier thematisiert – scheint mir die des Roemischen Rechtes zu sein. Dieses schuetzt die „Sache(n) der Staerkeren“ macht die „Sache(n) des Schwaecheren“ zu einer Rechtsstoerung. „Das Eigentuemlich-Einzigartige des roemischen Rechts ist die Isolierung der sogenannten Rechtsfragen von allen anderen, sozialen, wirtschaftlichen, politischen Aspekten, die ‚Konstituierung einer eigenstaendigen Rechtswelt‘ (Wieacker). Sie wird konstituiert im Monopol von Rechtsgelehrten, die, wie auch die Laienrichter, nur dem Adel, zunaechst dem alten, und, seit dem 1. vorchristlichen Jahrhundert, auch dem neuen Geldadel entstammten. … Gerechtigkeit ist im Rahmen dieser Honoratiorenjurisprudenz kein eigentlich juristischer Maszstab. ‚Nur die Schwachen‘, sagt Aristoteles (Politik 1318 b 4), ‚erstreben das Gleiche und Gerechte, die Starken kuemmern sich nicht darum.'“ (Hans Erich Troje: Europa und griechisches Recht.  Frankfurter Antrittsvorlesung vom Sommer 1970. ) Die weltweite Finanzkrise vor einigen Jahren dokumentierte das Recht des Staerkeren. Wenn das Recht nur „eine Sache“, bzw. nur Bestimmte schuetzt, dann duerfte es auch als „Grundvoraussetzung“ fuer Frieden wegfallen.

Andererseits scheint Ratzinger diese Gegeneinander von Starken und Schwachen ueberwinden zu wollen, in dem er die Natur ins Spiel bringt. Er appellierte: „Die Fenster muessen wieder aufgerissen werden, wir muessen wieder die Weite der Welt, den Himmel und die Erde sehen und all dies recht zu gebrauchen lernen.“ Wieder kommt das ‚rechte‘ ins Spiel, doch hier geht es um den sachgerechten Gebrauch eines „hoerenden Herzens“. Letzteres koennte viel versprechend interpretiert werden, war meine Idee beim Lesen.

Ratzinger stellte folgende Fragen und beantwortete sie schlieszlich mit der Bitte um ein ‚hoerendes Herz‘:
„Aber wie geht das? Wie finden wir in die Weite, ins Ganze? Wie kann die Vernunft wieder ihre Groesze finden, ohne ins Irrationale abzugleiten? Wie kann die Natur wieder in ihrer wahren Tiefe, in ihrem Anspruch und mit ihrer Weisung erscheinen?“

Fuer ihn ist – aus meiner Sicht voellig ueberfluessig – Natur der Ort ‚objektiver Vernunft‘, die einen Schoepfer vermuten laesst. Dies duerfte nur jemand teilen koennen, der glaubt, dass goettliches Wirken sich in der Natur zeige und dass dies ein objektiver Sachverhalt sei. Behauptete ‚Objektivitaet‘ wird zum Rechtsinstrument des Glaeubigen gegen den Unglaeubigen. Auch hier zeigt sich roemische Rechtsauffassung. Der paepstliche Stuhl und das hoechste Lehramt duerften besessen sein von Objektivitaet und der daraus abgeleiteten Gesetzesmacht. Ratzinger auch?

Doch Ratzinger weicht letzteres einmal damit auf, dass er aus der ‚objektiven Vernunft‘ eine historische macht: „Wenn in unserem Umgang mit der Wirklichkeit etwas nicht stimmt, dann muessen wir alle ernstlich ueber das Ganze nachdenken und sind alle auf die Frage nach den Grundlagen unserer Kultur ueberhaupt verwiesen.“

Im Kontext seiner Rede scheint Ratzinger damit die Kultur des alten Israels, Griechenland, Roms und das Christentum zu meinen. Dieser historisierende Ansatz den christlichen Wertekanon einzuordnen, koennte Fragen stellen und Antworten finden lassen, die nicht auf Gott verweisen, sondern auf die Menschen und ihre Faehigkeit, nuetzliches ‚handeln‘ zu unterscheiden. Es koennte sich moeglicherweise ergeben, dass dabei ‚gut‘ und ‚boese‘ keine Rolle spielt, sondern ausschlieszlich die Entwicklung der Faehigkeit, nuetzlich zu handeln.

Die Abgeordneten sollten ihre Fenster tatsaechlich weit oeffnen, indem sie den religioesen und philosophiehistorischen Ballast der Ratzinger Rede abwerfen. Ich wuensche mir, dass jeder auf seine Weise ‚ueber das Ganze‘ nachdenkt und die ‚Frage nach kulturellen Grundlagen‘ beantwortet, indem er seine eigene menschliche Natur erforscht.  „Wir muessen auf die Sprache der Natur hoeren und entsprechend antworten.“, raet auch Ratzinger.

Die ‚Sprache der Natur‘ sind fuer mich Koerperempfindungen, die sich fuer mich sensorierend ergeben. Sie wandeln sich in meine Eindruecke, Gedanken und Vorstellungen und werden so greifbarer. Darueber kann ich sprechen. Ich kann meine Koerpervernunft entdecken, indem ich mich erinnere. Dieser Vernunft mangelt es an der Groesze, von der Metaphysiker schwaermen und sich gegenseitig versichern, es gaebe sie. Koerpervernunft. entstammt der Physis, der sie folgt. Sie ist sensorierbar.  Die Koerpervernunft ist fuer den Alltagsgebrauch menschlichen Lebens bestimmt, d.h. sie hilft, mit anderen ueber „die Runden zu kommen“. Sie unternimmt keine Anstrengung, Gerechtigkeit herzustellen: Ihr genuegen Vertraege und Gesetze ohne Ewigkeitsanspruch. Sie muessen jederzeit revidierbar sein, wenn Menschen koerpervernuenftig handeln moechten.  

Ratzinger sagt: „… der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann. … er ist … dann recht, wenn er auf die Natur hoert, sie achtet und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat.“

So moechte ich es gern halten und so wuensche ich es auch unseren Politikern. Anstatt Traeumen nachzuhaengen – wie „Muehen um Gerechtigkeit“ -, die die Natur des Menschen aussperren, kommt es m. E. darauf an, diese zu erforschen und sich nach ihr zu richten. Von metaphysischen Traeumen rate ich ab. „Wo viel Traeume sind, da ist Eitelkeit und viel Worte…“ (Prediger Salomon 5,6)

Ueber koerpervernuenftiges ‚handeln‘



Ueber andere statt von sich selber zu reden, ist eine weit verbreitete menschliche Sitte. Merkwuerdigerweise ist es mit einem Tabu belegt, weshalb das Reden ueber andere nicht zugegeben wird. Moeglicherweise eine Folge des mosaisch-lutherischen Gebotes: Du sollst kein falsch Zeugnis reden ueber deinen Nächsten. Dieses bei uns strafwuerdige Verhalten ist aber damit nicht gemeint. Ich meine hier etwas ganz Positives. Etwas, das Kinder tun, wenn ihnen etwas am anderen auffällt. Wenn z.B. Cyrill mir morgens auf dem Schulweg sagt: „Du hast einen neuen Hut auf.“ Oder Friem meint: „Du hast deine Haare geschnitten.“ Oder Tobie: „Dein Gesicht ist ganz rot!“ Das, was diese Grundschueler mir ins Gesicht hinein sagen, sagen sie auch anderen ins Gesicht hinein, bzw. ueber andere den anderen. Kinder haben meist noch nicht die erwachsene Bremse, dass es sich nicht gehoert, einem anderen etwas direkt ins Gesicht zu sagen. Eine Mutter, der die Feststellungen ihrer kleinen Tochter ueber andere in deren Gegenwart peinlich waren, schlug ihr vor, diese fuer zu Hause aufzusparen. Das Kind versprach es. Beide saßen im Bus einem Farbigen gegenueber, der nach afrikanischer Mode gekleidet war. Dem Kind wuchsen die Fragen fast aus dem Mund heraus. Als es nicht mehr an sich halten konnte, platzte es mit dem Finger auf den Mann deutend heraus: „Ueber den da sprechen wir aber zu Hause!“

Wir scheinen alle, einen kulturell verordneten Maulkorb zu tragen. Wir reden nicht, wenn wir reden moechten. Wir machen statt dessen Smalltalk, der nichts sagend ist. Wir schlucken runter, was uns auf der Zunge liegt und kriegen u. a. Magenbeschwerden. Manche haben sich das Reden, ueber das, was sie bewegt, derart abgewoehnt, dass sie nicht mehr wissen, was sie sagen sollen. Andere tyrannisieren ihre Mitmenschen mit endlosen Lautfolgen.

Es tut uns nicht gut zu verschweigen, worueber wir reden moechten, behaupte ich. Unser Koerper reagiert darauf, denn seiner Vernunft entspricht es, das spontan in ‚handeln‘ umzusetzen, was er sensoriert. Die uns alle anerzogene Haltung der kulturellen Vernunft verhindert dies. Sie stoert diesen natuerlichen Ablauf. Dies duerfte Stoerungen unseres Organismus hervorrufen koennen. Es kann einem ‚die Spucke wegbleiben‘, die ‚Sprache verschlagen‘, es koennen die ‚Worte fehlen‘ …etc. Junge Kinder koennen mit temporärem Verstummen antworten, wenn das, was sie gesagt haben, konsequent ignoriert wird.

Die kulturelle Vorschrift „Du sollst nicht sagen, was du siehst, hoerst, riechst …etc.“ verhindert m.E. dass menschliches Empfinden Menschen mit einander in Verbindung bringt. Wir legen uns hier moeglicherweise ein unnoetiges Tabu voller Nebenwirkungen auf, das koerperunvernuenftig wirken duerfte. Keinesfalls ist damit gemeint, mit der Tuer ins Haus zu fallen. Wer moechte schon, dass andere bei ihm mit der Tuer ins Haus fallen. Wenn man die eigene Empfindsamkeit mit einbezieht und dem anderen entsprechend zugesteht, duerfte man ’sympathizing‘ angemessene Wege finden koennen. Derart koerpervernuenftig vorbereitet, koennte das Handeln miteinander besser funktionieren.

Enkulturation des Menschlichen



Zuschreibungen persoenlicher Eigenschaften erlebt jeder von Geburt an. Eltern gehen vom Verhalten eines Babys aus und bezeichnen je nach dem den kleinen Menschen als still, temperamentvoll, nervig, interessiert, ruhig, antriebsarm, aufgeweckt, … etc. In der Regel duerften aus einer Mischung unterschiedlicher Zuschreibungen Vorstellungen vom Charakter und Anlagen eines Saeuglings entstehen. Diese Einschaetzungen wiederum duerften das Verhalten der Erwachsenen gegenueber dem Saeugling und im Gegenzug das Verhalten des Saeuglings beeinflussen. Daraus ergeben sich weitere Zuschreibungen, Verhaltensveraenderungen usw. was sich bis an unser Lebensende fortsetzen duerfte. Es scheint mir, dies ein lebenslang wirksames Grundprinzip jedes Kontaktes zwischen Menschen zu sein, das außerdem als Basis fuer die Enkulturation jedes Einzelnen fungieren duerfte.

An dieser Stelle moechte ich anmerken, dass das bisher Erlaeuterte aus meiner Sicht auch fuer Wissenschaftler gilt. Theorien erwachsener Experten kommen haeufig mit dem Gestus daher, als seien sie geschichtslos entstanden. Vor allem Metaphysiker behaupten seit Jahrhunderten ueber allgemeingueltige Erkenntnisse zu verfuegen, die fortschreitende menschliche Entwicklung ermoeglichten und ignorieren meist einvernehmlich die Moeglichkeit, dass Veraenderungen auch ganz anderen Parametern folgen koennen. Humes sensualistische Forschungen, mit denen ich mich hier beschaeftige, duerften dazu Hinweise geben koennen.

Im Zusammenhang mit kulturellen Selbstverstaendlichkeiten duerfte das eben beschriebene Grundprinzip dazu taugen, normales (genormtes) Verhalten hervorrufen koennen. Dies ist gesellschaftlich erwuenscht. Ich entschloss mich mit 15 Jahren Lehrerin zu werden. Die Schulen Baden-Wuerttembergs orientierten sich lehrplanmaeßig an christlich-evangelischen Werten. Letztere hatte jeder Lehrer mit seiner Person zu vertreten. Dies brachte mich in Konflikt mit meinen sich seit einiger Zeit abzeichnenden agnostischen Sichtweisen. Erwachsene, die im Unterschied zu mir anders dachten und glaeubige Christen waren, veranlassten mich, meine eigenen, jugendlichen Schlussfolgerungen zu verwerfen. Ich machte mich „gehorsam – und pflichtschuldig“ daran herauszufinden, was es mit Wahrheit, Gott … etc. auf sich haben koennte. aehnlich wie Richard Rorty nahm ich an, den ’sagenhaften Ort neutralen Bewertens‘ finden zu koennen, an dem sich alle Widerspruechlichkeiten aufloesen wuerden. Ich wollte eine ‚richtige‘ Lehrerin sein koennen. Dieser Wunsch hat sich fuer mich nicht erfuellt. Anstelle von Begruendungen fand ich unbegründete Behauptungen und Rechthaberei. Menschen, die sich wie ich mit (An)Fragen rumschlugen, traf ich selten.

Kulturen folgen Normen, die sie mit Klauen und Zaehnen verteidigen. Vermutlich auch deshalb, weil jeder Mensch mit seinem Herzblut an dem haengt, was ihm durch Erziehung und Sozialisation abverlangt wurde und wird. Es schmerzt mich noch heute stets ein wenig, wenn jemand Metaphysik kritisiert, auch wenn ich selber mit Metaphysik nichts mehr anfangen kann. Das, was ein Mensch sich unter Maßgabe bestimmter Normen im Kontakt mit fuer ihn wichtigen Menschen erworben hat, wird ihm wertvoll, unabhaengig davon, ob damit etwas pragmatisch auszurichten ist oder nicht. Die individuell gestaltete Gemeinschaft mit anderen – so mein Resuemee – ist in der Regel wichtiger und duerfte das Hinsehen auf die negativen Folgen von ‚anpassen‘ erschweren bzw. verhindern koennen.

Der Koerpervernunft folgen …



... heißt sich selber finden. Als ‚vernuenftig‘ wird das bezeichnet, was ich empfinde und entsprechend handle ich. Mit ‚empfinden’ ist koerperliches ‚empfinden’ gemeint. Es entsteht aus dem, was ICH erlebt, bzw. was mein Koerper erlebt. ICH, ‚ich selber’ oder ‚Koerper‘ sind Namen fuer eine Person.

Dieser Koerper, diese Person, die andere mit Monika oder Frau Wirthgen ansprechen, unterscheidet sich von anderen deutlich durch Aussehen, Gestalt, Handeln und Sprechen. Hier koennten eine Vielzahl von einzelnen Merkmalen genannt werden, die diese Unterschiede naeher bestimmen. Doch diese bleiben fuer den augenblicklichen Zusammenhang außer Betracht.

Mein augenblickliches Thema ist: Andere philosophierende Menschen schrieben und schreiben meiner Person Eigenschaften zu. Sie reden davon, dass ein Mensch Geist, Vernunft, Verstand, Bewusstsein, Unbewusstes, … etc. habe. Dies sind metaphysisch und kulturell selbstverstaendlich erworbene Vorstellungen, die jedem viel bedeuten und mit jedem verwachsen sind, der sie verwendet. Ich habe mir jahrzehntelang davon Vorstellungen gemacht und habe bei mir nach Hinweisen auf Faehigkeiten Ausschau gehalten, die diesen Vorstellungen zugeordnet werden koennten. Immer wenn ich glaubte, derartige Faehigkeiten gefunden zu haben, stiesz ich ins Leere. Die Frage „Wer bin ich?“ wurde zu einer Plage und mein Handeln bueszte Effizienz ein.

Auf der Suche nach Kriterien verschwand meine Person handelnd in fremden Maszstaeben, die mir in irgendeiner Weise passend zu sein schienen. Daraus entstand eine Art eigene Welt aus Fremdem zusammengepuzzelt und modifiziert, in der ich mich aber nie so richtig zu Hause fuehlte. An allen Ecken und Enden waren Ungereimtheiten, die ich in heteronomer Begrenztheit uebersah. Irgendwann stand ich dann doch mit fast leeren Haenden da. Ich resuemierte: So geht es nicht. Wie aber dann? Die Idee Rolf Reinholds, auf die mir zugeordneten Eigenschaften Geist, Vernunft, Verstand, Bewusstsein, Unbewusstes, … etc. zu verzichten, gefiel mir gar nicht. Doch ich hatte zu viele Probleme und so gab ich unter Schmerzen vertraute Selbstverstaendlichkeiten nach und nach auf. Mein Ideengeber hat mich stattdessen auf ‚empfinden‘ meiner eigener Koerperimpulse verwiesen.

Die Idee KOERPERVERNUNFT ist ein philosophisches Angebot zur authentischen Neukonzeption des Eigenen, die ohne Uebernahme von Fremdem auskommt. Das was Rolf Reinhold mir jeweils nahe legte, war sein Eigenes, um herauszufinden, ob mein Handeln mit den von ihm daraus gewonnenen Annahmen besser funktionierte. Ich formuliere hier mein Eigenes, um wiederum andere zu ihrem Eigenen anzuregen. Das duerfte ‚philosophieren’ in bestem Sinne sein.

Unvernunft



Ich selber habe den Eindruck, dass ich unkapierbar fuer andere schreibe. Ich gebe zu: Es macht mir Freude, Worte zu finden und sie anders zu gebrauchen, damit ich das ausdruecken kann, was sonst verborgen bliebe. Aber ich moechte auch, dass andere kapieren koennen, worueber ich schreibe. Rolf Reinhold und ich haben vor einigen Tagen darueber geredet, dass es wohl sinnvoller sein koennte, das bisher philosophisch Ungesagte genau zu beschreiben – und zwar mit einfachen Worten.

‚ICH selber’ waere dann nichts weiter als ein anderes Namensschild fuer meine Person. Diese Person, also „ich“ wie ueblicherweise gesagt wird, hat lediglich darauf verzichtet zu behaupten, dass sie aus Koerper und Geist bestehe. Sie sagt: Ich weiß nicht, was Geist sein koennte. Fragt sie andere, die es wissen koennten, weil sie von Geist reden, bekommt sie viele Antworten, die sie nicht aufklaeren. Redet sie daher von Vernunft, meint sie Koerpervernunft. Fuer Metaphysiker wiederum ist das Unvernunft.

Da ich eine hochsensitive Person bin, bringen mich Antworten, die mich nicht aufklaeren, bloß durcheinander. Hochsensitive Menschen neigen naemlich dazu den Sachverhalt, dass sie etwas nicht kapieren, als von sich selber hervorgerufen aufzufassen. Auf diese Weise kann man ganz schnell ein klinischer Fall werden. Ich fuer mein Teil empfinde mich als sehr gesund, seit ich angefangen habe, das beiseite zu lassen, was ich weder kapiere, noch mir andere erklaeren koennen.

Das Verhalten einer auf Koerpervernunft setzenden Philosophin aehnelt dem einer meiner Katzen. Noch jung und unerfahren saß sie vor dem Fernsehgeraet, in dem gerade ein Eishockeyspiel uebertragen wurde. Fasziniert verfolgte sie den kleinen schwarzen Puck, der hin und her geschossen wurde. Ploetzlich verschwand der Puck aus dem Sichtfeld der Kamera. Neugierig guckte sie neben dem Fernsehgeraet ins Regal, fasste mit der Pfote nach: kein Puck. Sie wendete sich ab und zog von dannen in den Garten. Nie wieder hat sie sich durch die Bilder des Fernsehens an der Nase rumfuehren lassen. Manchmal sah sie mich an – nachdenklich, wie mir schien -, waehrend ich auf die Mattscheibe guckte.

So aehnlich wie ihr mit dem Puck ging es mir mit der Metaphysik: Fasziniert verfolgte ich die Reden anderer, ließ mich an der Nase rumfuehren, fand aber nichts. Bis ich schließlich beschloss: Da gibt es nichts fuer mich zu finden. Seither kann ich mich ganz der Koerpervernunft widmen.

ICH selber



Traditionell-metaphysisch heißt der Terminus „ich selbst“ und bezeichnet Geistiges. Der eigene Körper zeigt sich aus dieser Perspektive als ein Additivimum bzw. Anhängsel. Vielleicht so etwas wie ein Mail-Anhang, den man erst hochladen muss, um ihn zu präsentieren.

„ICH selber“ ist die Bezeichnung für eine körperliche Einheit Mensch, für die Geistiges nicht fassbar ist. Dieses ICH hat selber keine Ahnung, was das bei ihm sein soll, was andere Geist oder das Denken oder die Vernunft usw. nennen. ICH denkt, ist die weitestgehendste Aussage zu der es stehen kann, weil es in dieser Operation ‚denken‘ sich offensichtlich befindet, wenn es sich selber als nachdenklich empfindet oder andere fragen: „Na, was denkst du?“ Dieses ‚empfinden‘, ‚fragen‘ und ‚zuschreiben‘ („Kinder seid still, Mama denkt!“) sind hilfreich: Sie operationalisieren ein Tun, von dem ICH selber erst durch sprechen etwas sagen kann. Eigentlich leicht zu kapieren: Wie anders soll es sagen können, was es denkt, als durch ’sprechen‘?
Im Gegenteil dazu meinen Philosophen des Geistes und andere Metaphysiker, dass sie das Denken ohne zu sprechen in den Blick kriegen können. Sozusagen das Denken an sich. Denn sie reden ungeniert von „Bewusstsein“ und gehen davon aus, dass es gelingen könnte, ein physisches Korrelat dazu zu finden – obwohl nicht viel dafür spricht.

ICH selber kam ins Stolpern über dieses „Rätselraten“. Ein Reflexionsphänomenologe „metaphysizierte“ über Reflexionsphänomene seines Denkens, die Ausblicke auf Vergangenes ermöglichten und ontologisch-gnoseologische Grundstrukturen von Freiheit und Zeit beweisen  sollten. Da diese aber völlig geistiger Art waren, vermisste ICH selber nicht nur das Konkrete des ’sensorieren‘, sondern auch jede Art geistiges Vermögen diese zu erfassen. Das nachdenkliche ICH selber hielt sich schließlich für unfähig dergleichen zu kapieren und flüsterte leise: Und wenn das alles nur Theorie ist? (Was bei ihm so viel wie ‚ausgedacht‘ meint! Über ‚ausgedachtes‘ zu ‚philosophieren‘, hielt es aber immer schon für ein bisschen unphilosophisch.) Ein Ander-ICH, das gerade in der Nähe war, rief: „Natürlich ist das alles Theorie!“ Erleichtert schlug ICH selber sich an den Kopf und meinte: „Oh je, ist ICH selber saublöd, dass es nicht gemerkt hat, wie blöd es war, Reflexionsphänomenologie für was Konkretes zu halten!“ ICH selber gefällt es manchmal indirekt Karl Valentin zu zitieren. An diesem Ander-ICH findet es die unverblümte, treffende  Schlichtheit so angenehm.

Wie angenehm doch ‚leben‘ und ‚philosophieren‘ sind, wenn ICH selber Geistiges einfach geistig sein lassen kann, d.h. so viel wie: ‚unbekanntes‘ unbekannt sein lassen und sich bekannten Dingen zuwenden kann, bzw. solchen Dingen, die es kennen lernen kann.

ICH



Umfassende sinnliche d.h. sensorische Prozesse und Aktivitaeten, sowie deren neurophysiologische Ergebnisse (autoaktive neuronale Netzwerke) halten physistisch gepraegte Philosophen – wie ich – fuer die Basis von ‘denken’, ‘schlussfolgern’, ‘vorstellen’, ‘handeln‘ … usw. Die Koerperorientierung dieses ‚philosophieren‘ macht den alles entscheidenden Unterschied zu jeder anderen Philosophie (Metaphysik) aus. Sie gibt auszerdem philosophischen Bezeichnungen wie z.B. ‚Vernunft‘ eine voellig andere Bedeutung, wie ich im vorigen Artikel erlaeutert habe.

Das ‚Ich‘ im Mainstream der Philosophie

Die Bezeichnung „ich“ veraendert unter physistisch gepraegter Sichtweise ihre Bedeutung gleichfalls. Um die Fuelle von Bedeutungen von „Ich“ wenigstens innerhalb des Mainstreams der Philosophie einigermaszen zutreffend erlaeutern zu koennen, muesste ich eigentlich ein mehrbaendiges Werk verfassen. Ich beschraenke mich aber jetzt darauf, einige deutliche Hinweise auf Unterschiede zu geben, die sich mir aus Jahrzehnten des Studiums nahe legten und denen jeder nachspueren kann, um herauszufinden, was Philosophen meinen koennten, wenn sie nicht nur „ich“ benutzen, sondern das „Ich“ erklaeren.

Innerhalb des philosophischen Mainstreams wird das „Ich“ als ein immaterieller, geistiger Faktor – etwas unsichtbares macht etwas Konkretes -, das denkt und ‚handeln‘ lenkt (u.a. bei Descartes und Locke). Leibniz nennt es eine Monade (m.E. eine Art grenzwertiges Abstraktum von etwas) Bei Kant ist das „Ich“ – wie bei Hegel, Schelling und Fichte – etwas ‚idealreales‘ (fand ich in Rudolf Eisler’s Woerterbuch), das es gibt, das man irgendwie kennt, aber nicht erkennt. Alle zuletzt genannten Philosophen beschreiben unterschiedliche „Iche“, behaupten aber dennoch die Identitaet des „Ich“. Diesen Paradoxien moechte ich hier nicht weiter nachgehen. Wer mehr wissen moechte, dem empfehle ich das Studium der entsprechenden Quellen, bzw. wenigstens einen Blick in ein philosophisches Woerterbuch. Ueber kritische Stellungnahmen freue ich mich.

Das ‚Ich‘ als etwas Körperliches – eine marginale Sichtweise

Ein Jedermann-Philosoph duerfte auf die Frage: „Wer bin ich?“ bzw. „Wer bist Du?“ antworten koennen: Monika Wirthgen, 62 Jahre alt, ueberwiegend weiszes Haupthaar, 1,59 m grosz, Lehrerin, Schwaebin … Dass dies auch Philosophenprofis so sehen koennen, beweist u.a. Spinoza: Er identifiziert das „Ich“ mit ‚denken‘ und betrachtet ‚denken‘ als koerperliches Phaenomen. Auch Hume geht davon aus, dass „Ich“ sensorierbar ist: Das „Ich“ sei ein „Buendel koerperlicher Empfindungen“, meint er.

ICH = Einheit Körper

Die beiden letzteren erlauben mir eine professionelle Anknuepfung an meine Sichtweise und verleihen dieser so Glaubwuerdigkeit – etwas was heute immer noch gefragt ist. „Ich“ ist aus meiner Sicht – wie ‚Koerpervernunft‘ – ein Sammelbegriff (in den Augen von Metaphysikern ein nachvollziehbarer Fehlgriff). Er bezeichnet die Einheit aller koerperlichen Vorgaenge und ist gleichzeitig der Name dieser Einheit. Diese Beschreibung stammt von Rolf Reinhold. Ich konnte sie mir nur deshalb zu Eigen machen, weil ich herausfinden wollte, was bei mir handelnd besser funktioniert, wenn ich physistisch denke und handle. Hier noch einmal vollstaendig: „ICH ist die Einheit des Koerpers, samt aller koerperlichen Prozesse und neuronalen Aktivitaeten, und der Name der Einheit.“

Diese Einheit ICH lebt von ’sensorieren‘. ICH koennte auch ‚empfinden‘ sagen. Doch weil damit in unserer philosophischen Kultur automatisch auch „idealreales“ mit assoziiert wird, bleibe ICH bei ’sensorieren‘, um deutlich zu machen, dass ICH ausschlieszlich Koerperliches bezeichnet.