ICH



Umfassende sinnliche d.h. sensorische Prozesse und Aktivitaeten, sowie deren neurophysiologische Ergebnisse (autoaktive neuronale Netzwerke) halten physistisch gepraegte Philosophen – wie ich – fuer die Basis von ‘denken’, ‘schlussfolgern’, ‘vorstellen’, ‘handeln‘ … usw. Die Koerperorientierung dieses ‚philosophieren‘ macht den alles entscheidenden Unterschied zu jeder anderen Philosophie (Metaphysik) aus. Sie gibt auszerdem philosophischen Bezeichnungen wie z.B. ‚Vernunft‘ eine voellig andere Bedeutung, wie ich im vorigen Artikel erlaeutert habe.

Das ‚Ich‘ im Mainstream der Philosophie

Die Bezeichnung „ich“ veraendert unter physistisch gepraegter Sichtweise ihre Bedeutung gleichfalls. Um die Fuelle von Bedeutungen von „Ich“ wenigstens innerhalb des Mainstreams der Philosophie einigermaszen zutreffend erlaeutern zu koennen, muesste ich eigentlich ein mehrbaendiges Werk verfassen. Ich beschraenke mich aber jetzt darauf, einige deutliche Hinweise auf Unterschiede zu geben, die sich mir aus Jahrzehnten des Studiums nahe legten und denen jeder nachspueren kann, um herauszufinden, was Philosophen meinen koennten, wenn sie nicht nur „ich“ benutzen, sondern das „Ich“ erklaeren.

Innerhalb des philosophischen Mainstreams wird das „Ich“ als ein immaterieller, geistiger Faktor – etwas unsichtbares macht etwas Konkretes -, das denkt und ‚handeln‘ lenkt (u.a. bei Descartes und Locke). Leibniz nennt es eine Monade (m.E. eine Art grenzwertiges Abstraktum von etwas) Bei Kant ist das „Ich“ – wie bei Hegel, Schelling und Fichte – etwas ‚idealreales‘ (fand ich in Rudolf Eisler’s Woerterbuch), das es gibt, das man irgendwie kennt, aber nicht erkennt. Alle zuletzt genannten Philosophen beschreiben unterschiedliche „Iche“, behaupten aber dennoch die Identitaet des „Ich“. Diesen Paradoxien moechte ich hier nicht weiter nachgehen. Wer mehr wissen moechte, dem empfehle ich das Studium der entsprechenden Quellen, bzw. wenigstens einen Blick in ein philosophisches Woerterbuch. Ueber kritische Stellungnahmen freue ich mich.

Das ‚Ich‘ als etwas Körperliches – eine marginale Sichtweise

Ein Jedermann-Philosoph duerfte auf die Frage: „Wer bin ich?“ bzw. „Wer bist Du?“ antworten koennen: Monika Wirthgen, 62 Jahre alt, ueberwiegend weiszes Haupthaar, 1,59 m grosz, Lehrerin, Schwaebin … Dass dies auch Philosophenprofis so sehen koennen, beweist u.a. Spinoza: Er identifiziert das „Ich“ mit ‚denken‘ und betrachtet ‚denken‘ als koerperliches Phaenomen. Auch Hume geht davon aus, dass „Ich“ sensorierbar ist: Das „Ich“ sei ein „Buendel koerperlicher Empfindungen“, meint er.

ICH = Einheit Körper

Die beiden letzteren erlauben mir eine professionelle Anknuepfung an meine Sichtweise und verleihen dieser so Glaubwuerdigkeit – etwas was heute immer noch gefragt ist. „Ich“ ist aus meiner Sicht – wie ‚Koerpervernunft‘ – ein Sammelbegriff (in den Augen von Metaphysikern ein nachvollziehbarer Fehlgriff). Er bezeichnet die Einheit aller koerperlichen Vorgaenge und ist gleichzeitig der Name dieser Einheit. Diese Beschreibung stammt von Rolf Reinhold. Ich konnte sie mir nur deshalb zu Eigen machen, weil ich herausfinden wollte, was bei mir handelnd besser funktioniert, wenn ich physistisch denke und handle. Hier noch einmal vollstaendig: „ICH ist die Einheit des Koerpers, samt aller koerperlichen Prozesse und neuronalen Aktivitaeten, und der Name der Einheit.“

Diese Einheit ICH lebt von ’sensorieren‘. ICH koennte auch ‚empfinden‘ sagen. Doch weil damit in unserer philosophischen Kultur automatisch auch „idealreales“ mit assoziiert wird, bleibe ICH bei ’sensorieren‘, um deutlich zu machen, dass ICH ausschlieszlich Koerperliches bezeichnet.

‚Vernunft des Koerpers‘



‚Koerpervernunft‘ verwende ich als Sammelbezeichnung. Diese umfasst Vorgaenge, Taetigkeiten und Ergebnisse von

  1. ’sensorieren‘, wenn Menschen eine entsprechende Koerperhaltung einnehmen, die andere Menschen mit ’nachdenken‘ verbinden. (z.B. Rodins Skulptur vom „Denker“ oder die bekannte Darstellung Walters von der Vogelweide: „Ich sass auf einem Steine …“)
  2. ‚empfinden‘, ‚erinnern‘ und ‚vorstellen‘ (um Probleme zu loesen)
  3. momentanen bewussten und unbewussten sensorischen Leistungen im Zusammenwirken aller koerperlichen Funktionen.

Koerpervernunft ist individuell gepraegt durch ‚erleben‘

Diese drei physistischen Aspekte markieren ausserdem den unhintergehbaren, sich kontinuierlich veraendernden individuellen Rahmen, in dem fuer jeden Menschen verschieden, das geschieht, was ‚Koerpervernunft‘ umfassend bezeichnet. ’sensorieren‘ beziehe ich auf das, was ein ganz bestimmter Mensch auf die ihm eigene Weise wahrnimmt. Der Focus seines jeweiligen ’nachdenken‘ hinge so von der Bandbreite seines ’sensorieren‘ bzw. ‚wahrnehmen‘ ab. Daraus koennte man weiter folgern: Was ein Menschen nicht merkt, duerfte nicht Gegenstand seines ’nachdenken‘ sein koennen. Ferner duerften ‚empfinden‘, ‚erinnern‘ und ‚vorstellen‘ waehrend ein Mensch fuer seine Probleme Loesungen finden moechte, nur auf das zugreifen koennen, was als Folge seines ‚erleben‘ den neurophysiologischen Aktivitaeten seines Koerpers greifbar ist. Letztere duerften jeweils zu einem Ergebnis fuehren, das einer momentanen Leistung seines Koerpers entspricht. Dieses muendet wiederum modifizierend mit ein in seine ‚Koerpervernunft‘.

Koerpervernunft heißt: ’nachdenken‘, ‚überlegen‘, ‚zusammenfassen‘, ’schlussfolgern‘

zu 1: ‚ueberlegen‘ bzw. ’nachdenken‘ gehoeren nach meinem Kenntnisstand zu den etymologisch aeltesten Operationalisierungen von Vernunft. Dazu passt auch ‚vernehmen‘ (vor Gericht) i.S.v. ‚etwas knapp zusammenfassen‘ und ’schlussfolgern‘. Unverzichtbar fuer die je eigene ‚Koerpervernunft‘ ist die Anregung durch und der Bezug auf ’sensorieren‘. Ob und wie Taetigkeiten wie ‚ueberlegen‘ bzw. ’nachdenken‘ fuer ‚Geistiges‘ stehen, ist dabei fuer den gemeinsamen philosophischen Diskurs und gemeinsames ‚handeln‘ irrelevant.

Weitere Leistungen der Koerpervernunft: ’sensorieren‘, ‚verarbeiten‘, ‚empfinden‘, ‚erinnern‘ und ‚vorstellen‘

zu 2: ’sensorieren‘ umfasst aus meiner Sicht ‚wahrnehmen‘ und ‚verarbeiten‘ peripherer und innerer Anregungen, die vermutlich dem ’nachdenken‘ und ‚ueberlegen‘ dazu individuell Verfuegbares durch ‚empfinden‘, ‚erinnern‘ und ‚vorstellen‘ ueberlassen duerften. Dieses vermutlich hoch komplexe Geschehen der menschlichen Koerpervernunft entzieht sich unserer Beobachtung. Wir sind dabei auf ‚empfinden‘ verwiesen. Rolf Reinhold hat die dazu entsprechende Taetigkeit ‚denken‘ 1974 als ‚Simulation von Organlagen‘ naeher charakterisiert.

Lebenslange Projekte der Freiheit und Verantwortung: ‚entscheiden‘, ’sich einstellen‘, ‚optimieren‘

zu 3: Die Neurowissenschaften stellen seit Jahrzehnten Forschungsergebnisse zur Verfuegung, aus denen Wissenschaftler Muster und Prinzipien schlussfolgern, die sowohl Philosophieprofis als auch den vielen Selberdenkern unter uns Vorstellungen darueber ermoeglichen koennen, wie wir uns ‚einstellen‘ koennen, um unser ‚handeln‘ zu optimieren. Die in unserer Kultur uebliche Vorstellung, wir koennten unser ‚handeln‘ durch absichtsvolles geistig-vernuenftiges Steuern erfolgreich lenken, scheint nicht zu den neurowissenschaftlichen Forschungsergebnissen zu passen. Scheinbar planvolles Vorgehen entpuppte sich bei experimentellen Settings immer wieder als nachgeschobene Legitimation einer bereits vorher physisch gefaellten Entscheidung.

Es müssen bisherige  Vernunft-Theorien veraendert werden, wenn ‚philosophieren‘  dem ‚handeln‘ dienen möchte.

Aus meiner Sicht wird voreilig geschlossen, dass damit die menschliche Freiheit und Verantwortung ausgehebelt werde. M.E. wird lediglich eine bestimmte Theorie der Freiheit und Verantwortung in Frage gestellt, die seit Jahrhunderten nur in den Koepfen funktionierte und dazu fuehrte, das Fehl- und Fehlerverhalten Menschen persoenlich stigmatisierten. ‚koerpervernuenftiges‘ ergibt bei genauem Hinsehen, dass ’nachdenken‘ und ’schlussfolgern‘ unserem ‚handeln‘ nachgeordnete Taetigkeiten sind. Diese ermoeglichen ‚handeln‘ zu reflektieren, eigene Sichten und Einstellungen zu entdecken, mich zu veraendern, handelnd Anderes zu erproben und weiter zu entwickeln. Ich veraendere mich, weil ich es moechte. Dies ist meine freie Entscheidung. ‚verantworten‘ fuer eigenes ‚handeln‘ hat – egal ob ‚entscheiden‘ frei oder gezwungenermassen geschieht – in jedem Fall jeder fuer sich zu vollziehen. Dies ist mein Resuemee aus meiner Umsetzung koerpervernuenftiger Sichten und Konzepte.

„Was auch immer Du tust, es ist jedes Mal Deine eigene Entscheidung, … ausnahmslos!“ (Rolf Reinhold)