‚Vernunft des Koerpers‘



‚Koerpervernunft‘ verwende ich als Sammelbezeichnung. Diese umfasst Vorgaenge, Taetigkeiten und Ergebnisse von

  1. ’sensorieren‘, wenn Menschen eine entsprechende Koerperhaltung einnehmen, die andere Menschen mit ’nachdenken‘ verbinden. (z.B. Rodins Skulptur vom „Denker“ oder die bekannte Darstellung Walters von der Vogelweide: „Ich sass auf einem Steine …“)
  2. ‚empfinden‘, ‚erinnern‘ und ‚vorstellen‘ (um Probleme zu loesen)
  3. momentanen bewussten und unbewussten sensorischen Leistungen im Zusammenwirken aller koerperlichen Funktionen.

Koerpervernunft ist individuell gepraegt durch ‚erleben‘

Diese drei physistischen Aspekte markieren ausserdem den unhintergehbaren, sich kontinuierlich veraendernden individuellen Rahmen, in dem fuer jeden Menschen verschieden, das geschieht, was ‚Koerpervernunft‘ umfassend bezeichnet. ’sensorieren‘ beziehe ich auf das, was ein ganz bestimmter Mensch auf die ihm eigene Weise wahrnimmt. Der Focus seines jeweiligen ’nachdenken‘ hinge so von der Bandbreite seines ’sensorieren‘ bzw. ‚wahrnehmen‘ ab. Daraus koennte man weiter folgern: Was ein Menschen nicht merkt, duerfte nicht Gegenstand seines ’nachdenken‘ sein koennen. Ferner duerften ‚empfinden‘, ‚erinnern‘ und ‚vorstellen‘ waehrend ein Mensch fuer seine Probleme Loesungen finden moechte, nur auf das zugreifen koennen, was als Folge seines ‚erleben‘ den neurophysiologischen Aktivitaeten seines Koerpers greifbar ist. Letztere duerften jeweils zu einem Ergebnis fuehren, das einer momentanen Leistung seines Koerpers entspricht. Dieses muendet wiederum modifizierend mit ein in seine ‚Koerpervernunft‘.

Koerpervernunft heißt: ’nachdenken‘, ‚überlegen‘, ‚zusammenfassen‘, ’schlussfolgern‘

zu 1: ‚ueberlegen‘ bzw. ’nachdenken‘ gehoeren nach meinem Kenntnisstand zu den etymologisch aeltesten Operationalisierungen von Vernunft. Dazu passt auch ‚vernehmen‘ (vor Gericht) i.S.v. ‚etwas knapp zusammenfassen‘ und ’schlussfolgern‘. Unverzichtbar fuer die je eigene ‚Koerpervernunft‘ ist die Anregung durch und der Bezug auf ’sensorieren‘. Ob und wie Taetigkeiten wie ‚ueberlegen‘ bzw. ’nachdenken‘ fuer ‚Geistiges‘ stehen, ist dabei fuer den gemeinsamen philosophischen Diskurs und gemeinsames ‚handeln‘ irrelevant.

Weitere Leistungen der Koerpervernunft: ’sensorieren‘, ‚verarbeiten‘, ‚empfinden‘, ‚erinnern‘ und ‚vorstellen‘

zu 2: ’sensorieren‘ umfasst aus meiner Sicht ‚wahrnehmen‘ und ‚verarbeiten‘ peripherer und innerer Anregungen, die vermutlich dem ’nachdenken‘ und ‚ueberlegen‘ dazu individuell Verfuegbares durch ‚empfinden‘, ‚erinnern‘ und ‚vorstellen‘ ueberlassen duerften. Dieses vermutlich hoch komplexe Geschehen der menschlichen Koerpervernunft entzieht sich unserer Beobachtung. Wir sind dabei auf ‚empfinden‘ verwiesen. Rolf Reinhold hat die dazu entsprechende Taetigkeit ‚denken‘ 1974 als ‚Simulation von Organlagen‘ naeher charakterisiert.

Lebenslange Projekte der Freiheit und Verantwortung: ‚entscheiden‘, ’sich einstellen‘, ‚optimieren‘

zu 3: Die Neurowissenschaften stellen seit Jahrzehnten Forschungsergebnisse zur Verfuegung, aus denen Wissenschaftler Muster und Prinzipien schlussfolgern, die sowohl Philosophieprofis als auch den vielen Selberdenkern unter uns Vorstellungen darueber ermoeglichen koennen, wie wir uns ‚einstellen‘ koennen, um unser ‚handeln‘ zu optimieren. Die in unserer Kultur uebliche Vorstellung, wir koennten unser ‚handeln‘ durch absichtsvolles geistig-vernuenftiges Steuern erfolgreich lenken, scheint nicht zu den neurowissenschaftlichen Forschungsergebnissen zu passen. Scheinbar planvolles Vorgehen entpuppte sich bei experimentellen Settings immer wieder als nachgeschobene Legitimation einer bereits vorher physisch gefaellten Entscheidung.

Es müssen bisherige  Vernunft-Theorien veraendert werden, wenn ‚philosophieren‘  dem ‚handeln‘ dienen möchte.

Aus meiner Sicht wird voreilig geschlossen, dass damit die menschliche Freiheit und Verantwortung ausgehebelt werde. M.E. wird lediglich eine bestimmte Theorie der Freiheit und Verantwortung in Frage gestellt, die seit Jahrhunderten nur in den Koepfen funktionierte und dazu fuehrte, das Fehl- und Fehlerverhalten Menschen persoenlich stigmatisierten. ‚koerpervernuenftiges‘ ergibt bei genauem Hinsehen, dass ’nachdenken‘ und ’schlussfolgern‘ unserem ‚handeln‘ nachgeordnete Taetigkeiten sind. Diese ermoeglichen ‚handeln‘ zu reflektieren, eigene Sichten und Einstellungen zu entdecken, mich zu veraendern, handelnd Anderes zu erproben und weiter zu entwickeln. Ich veraendere mich, weil ich es moechte. Dies ist meine freie Entscheidung. ‚verantworten‘ fuer eigenes ‚handeln‘ hat – egal ob ‚entscheiden‘ frei oder gezwungenermassen geschieht – in jedem Fall jeder fuer sich zu vollziehen. Dies ist mein Resuemee aus meiner Umsetzung koerpervernuenftiger Sichten und Konzepte.

„Was auch immer Du tust, es ist jedes Mal Deine eigene Entscheidung, … ausnahmslos!“ (Rolf Reinhold)

Sei vernuenftig!



Die Texte dieses Blogs moechten das Vergnuegen an der Vernunft entdecken helfen. Jedem Vernuenftigen duerfte dies aeusserst unvernuenftig vorkommen. Ueblicherweise ist Vergnuegen mit Unvernunft und Vernunft mit Pflicht gepaart. Das liegt aber nicht an der Sache,  sondern an den Menschen, insbesondere Philosophen und deren Auffassungen von Vernunft.

‚Vernunft‘ irritiert

Ich thematisiere hier ‚Koerpervernunft‘ im Unterschied zu ‚Vernunft‘. Die Idee dazu aeusserte ich zum ersten Mal vor Jahren in einem Gespraech mit Rolf Reinhold: „Wenn es ueberhaupt so etwas wie Vernunft gibt, dann eine Vernunft des Koerpers.‘ Rolf Reinhold bemerkte: ‚Weisst Du, was Du gerade gesagt hast?‘ ‚Ich glaube schon.‘ erwiderte ich. Ich erinnerte mich an ein altes Vorhaben von mir, einmal die ‚Geschichte der Vernunft‘ zu schreiben. Sie sollte mit Augustin Thagaste beginnen – auch wenn bei diesem Vernunft noch ‚ratio‘ genannt wurde – und bis in die Gegenwart reichen. ‚Vernunft‘ hatte mich schon als Kind beschaeftigt, wenn meine Mutter meinte: Sei doch vernuenftig! Dieser Appell hat mich stets irritiert und so ist es mir mit der Vernunft stets ergangen: Sie irritierte mich. Eine nachdenkliche Verwandte meinte auf meine Frage nach der Vernunft: ‚Es gibt Begriffe, die lassen sich nicht hinterfragen.‘ An solchen Antworten scheinen sich meine Irritationen wie die Fliegen zu vermehren.

‚Vernunft‘ (‚ratio‘) – eine römische Erfindung?

Inzwischen behaupte ich feststellen zu koennen, dass ich so etwas wie ‚Vernunft‘ nicht zu besitzen scheine. Viele wohlmeinende Menschen versuchen mir dies immer wieder auszureden, was mich – wie koennte es anders sein – wiederum irritiert. Wieso ist es anderen so wichtig, dass ich Vernunft habe? Ich aeussere dann gelegentlich die provozierende Idee, dass aus meiner Sicht auch die alten Griechen nichts von Vernunft wussten, auch wenn Woerterbuecher das Gegenteil schreiben. Ich gehe im Moment davon aus, dass die lateinische Variante der Vernunft auf die roemischen Beamten zurueckgeht, die Einnahmen und Ausgaben auszurechnen hatten, um ihren Senatoren und Caesaren Rede und Antwort in den Staatsfinanzen geben zu koennen. Eine Methode, die schließlich im ‚imperium romanum‘ von zentraler Bedeutung für die Staats- und Goettertreue jedes Buergers wurde. Eine altgriechische Variante der Vernunft konnte ich bisher noch nicht entdecken.

‚Koerpervernunft‘ geht vom Konkreten aus

Etwas Konkretes – aehnlich wie die roemischen Beamten – habe ich vor Augen, wenn ich von ‚Koerpervernunft‘ spreche. Konkretes vertreibt meine Irritationen. Ich gehe von meinen Empfindungen aus, orientiere mich daran im Zusammenhang mit dem, was mein ‚erinnern‘ mir an Vorstellungen zugaenglich macht. Ich beziehe dabei auch das mit ein, was andere ueber die menschliche Physis herausgefunden und veroeffentlicht haben. Das, was andere mir konkret sagen koennen, erlebe ich als anregend.

‚Koerpervernunft‘ in der ‚Koerperphilosophie‘ verortet

Den letzten Anstoss zu diesem neuen Blog fand ich heute bei der Lektuere von Ernst Reinholds: Theorie des menschlichen Erkenntnisvermoegen. Gotha und Erfurt (Henningsche Buchhandlung) 1832 Google-Buch

Eine ‚koerperphilosophische Erkenntnistheorie‘ fiel mir als Bezeichnung der Idee in  den Ausfuehrungen Ernst Reinholds ein. Koerperphilosophische Ansaetze habe ich inzwischen auch bei anderen Philosophen gefunden. Ich moechte sie in diesem Blog zusammen mit meinen eigenen Gedanken zur ‚Koerpervernunft‘ veroeffentlichen. Auch Einiges zu herkoemmlichen Auffassungen von ‚Vernunft‘ moechte ich erläutern.

Meine Äußerungen zu diesem Thema sind Ergebnisse vieler Gespräche und Veränderungen meiner Sichten aus dem intensiven Diskurs mit Rolf Reinhold .  In vielerlei Hinsicht profitiere ich dabei von seiner gründlichen Erforschung seines philosophischen Ansatzes ‚AxioTentaO‘ und vor allem seiner unermüdlichen und kontinuierlichen Arbeit an einer angemessenen philosophischen Sprache.  So geht beispielsweise die Kleinschreibung von nominalisierten Verben auf sein Resuemee zurück, dass DIEPhilosophie – mit fatalen Folgen – zur Substantivierung von Verben neige. Im Rahmen Physistik werden Taetigkeiten als Taetigkeiten aufgefasst. Sie verweisen nicht notwendigerweise auf bestimmte Faehigkeiten bzw. Vermoegen des Menschen, wie dies durch Substantivierungen suggeriert wird. Die negativen Folgen derartiger Kurzschluesse bestehen u.a. darin, dass Philosophen dann irrtuemlich meinen, behaupten zu können, was etwas sei – was u.a. für ‚Vernunft‘ gelten duerfte. Physistik moechte Probleme loesen und nicht mehren. Phystik moechte ein Rahmen sein, innerhalb dessen jedem Einzelnen die Taetigkeit ‚philosophieren‘ für die Taetigkeit ‚handeln‘ dienen kann.